Da gehört er hin, der Schrott

Up, up and away

Fernsehen

Gestern wurde mein Fernseher abgeholt. Ich hatte ihn unter der Rubrik zu verschenken im Internet und in einer Zeitung inseriert. Es kamen zahlreiche Anfragen und ich entschied mich für den ersten Interessenten, der offensichtlich dringend einen Fernseher suchte, denn er hatte mir versehentlich gleich zweimal eine e-mail geschrieben. Er kam dann, zusammen mit seinem erwachsenen Sohn, auch pünktlich zu unserer Verabredung und brachte als Transportmittel einen ALDI-Einkaufswagen mit, bei dem der Einkaufskorb entfernt worden war und das untere Gestell als Ladefläche diente. Er war mit dem selbstgebastelten Gerät aus der Neckarstadt, wo er wohnte, durch die ganze Stadt gelaufen. Den Fernseher wickelte er sorgfältig in eine Wolldecke und zurrte ihn mit Spanngurten fest. Ich wusste sofort: mein Fernseher ist in guten Händen, der Mann weiß zu schätzen, was er bekommen hat.

Ich habe meinen Fernseher aus zwei Gründen abgegeben: Zum einen verschandelte dieser schwarze Block, der mitten im Raum auf einem ebenfalls schwarzen Untergestell stand, mein schönes Wohnzimmer. Die Kabel, die zu ihm führten, verliefen quer durch den Raum und bildeten einen unschönen Störfaktor auf dem Parkettfußboden. Die Harmonie des Zimmers, dessen Möblierung ansonsten vorwiegend aus sanften Brauntönen besteht, wurde durch diesen schwarzen Fremdkörper erheblich gestört und wenn man von der Tür aus in den Raum schaute, wurde der Blick sofort von der Flimmerkiste vereinnahmt, die den Wohnraum dominierte.

Zum anderen war es so, dass ich seit Wochen und Monaten nicht mehr richtig fernsehen konnte. Ich war außerstande, mich auf das Programm zu konzentrieren und die angebotenen Inhalte aufzunehmen. Immer wieder schweiften meine Gedanken ab und ich ertappte mich dabei, dass ich z.B. der Handlung eines Spielfilms nicht mehr folgen konnte. Auch die Nachrichten gingen spurlos an mir vorbei. Während der Sprecher sie vortrug, machte ich mir Gedanken über seine Krawatte und sein Familienleben und hörte nicht, was er sagte. Nach einer halben Stunde Fernsehen ergriff mich auch immer eine bleierne Müdigkeit, so dass ich meinen Blick von der Mattscheibe abwandte, die Augen schloss und nur noch den Ton registrierte, der dann jedoch auch nach einiger Zeit verschwamm und nur noch eine Geräuschkulisse für meinen Dämmerschlaf bildete. Diese Geräuschkulisse war anfangs sehr angenehm, sie lullte mich ein im Halbschlaf und erzeugte das Gefühl, jemand sei da und begleite meine Entspannung. Gegen Ende meiner Fernsehlaufbahn jedoch empfand ich das halblaute Gemurmel als störend beim Laufen lassen meiner Gedanken und schaltete die Kiste oft ab.

Summa summarum war es so, dass ich so sehr mit meinem eigenen Programm beschäftigt war, dass ich das Fernsehprogramm nicht mehr aufnehmen konnte. Also war das Gerät überflüssig geworden und ich wollte und konnte es abgeben. Übrig blieb ein Gefühl großer Erleichterung und Freude über die hinzugewonnene Zeit, die ich ansonsten vor dem Fernseher verbracht hätte. Ich war lange Jahre ein treuer Fernsehzuschauer und schaute täglich mindestens 5 Stunden fern. Ich fing schon mittags um 13 Uhr mit dem Mittagsmagazin an, machte dann zwischen 14 und 16 Uhr eine Pause, um mich sodann meiner Telenovela zuzuwenden, deren Fortsetzung ich immer mit Spannung erwartete. Im Anschluß folgte ein Boulevard-Magazin mit gemischten Nachrichten und kleinen Geschichten aus deutschen Landen, dann eine Vorabend-Serie und um 19.00 Uhr die Heute-Nachrichten. Um 20.00 Uhr zog ich mir nochmals die Nachrichten in Form der Tagesschau rein und der anschließende Spielfilm war die Krönung des Tages. Obwohl ich sagen muss, dass Spielfilme mich in der letzten Zeit nicht mehr sehr interessierten. Meist waren die Handlungen zu flach und zu weit hergeholt und die Figuren zu klischeehaft gezeichnet und unglaubwürdig. Nur selten zeigte sich ein Film, der etwas Tiefe hatte und mich zum Nachdenken anregte.

Deshalb war ich schon seit längerem auf Arte oder Phönix ausgewichen, wo hin und wieder interessante Naturdokumentationen, Berichte über ferne Länder oder politische Informationssendungen laufen. Da ich sehr früh aufstehe, ist meine Aufnahmekapazität so ab 21.45 Uhr erschöpft und die interessanteren Sachen, die im Spätprogramm laufen, sind mir nicht mehr zugänglich.

Was mir immer zuwider war, sind die nachmittäglichen Kochsendungen, Konzerte der Volksmusik, Quizsendungen und Unterhaltungsshows aller Art, also die Sendungen mit den höchsten Einschaltquoten. Der Mainstream ist noch nie mein Ding gewesen. Eine Zeit lang habe ich gern Wer wird Millionär geschaut, wegen Günther Jauch, aber auf Dauer wurde mir auch das zu langweilig. Auch Wetten dass fand ich eine Weile spannend, obwohl mir dieser unsägliche Thomas Gottschalk auf die Nerven ging mit seiner amerikanisch angehauchten Oberflächlichkeit. Den Quiz-Sendungen mit Jörg Pilawa konnte ich noch nie etwas abgewinnen. Auch die so beliebten Talk-Shows bei den privaten Fernsehsendern ließen mich kalt und die meist amerikanischen Spielfilme, sogenannte Thriller, im Abendprogramm ebenso.

Oft dachte ich mir, dass das Fernsehen eigentlich ein hervorragendes Instrument zur Volksbildung sei. Man könnte durch dieses Massenmedium breiten Bevölkerungsschichten Wissen vermitteln, Wissen über die eigene Geschichte, über die Gesetzmäßigkeiten und Schönheiten der Natur, die Gebräuche und Sitten fremder Völker, die Landschaften ferner Länder und den aktuellen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Doch nur selten kommen Sendungen, die solches Wissen enthalten. Die besten Sendezeiten werden für das verschwendet, was man Unterhaltung nennt. Die Menschen sollen abgelenkt werden von dem, was sie tagtäglich beschäftigt, eine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen ihrer Existenz soll nicht stattfinden. Stattdessen wird das Publikum in eine vermeintlich heile Welt entführt, wo jedes Geschehen ein Happy End hat, wo die Guten und die Bösen klar definiert sind und das Gute immer siegt. An den Einschaltquoten kann man ablesen, welch ein hoher Bedarf an Projektionsflächen dieser Art besteht. Das Bewusstsein der breiten Massen bewegt sich auf einem sehr niedrigen Niveau der Selbstreflexion und das Fernsehen sorgt dafür, dass dies so bleibt, indem es die Bedürfnisse nach Ablenkung mit immer neuem, immer oberflächlicherem Material abspeist.

Ausgiebiger Fernsehkonsum sorgt dafür, dass ein Mensch seine wirklichen Bedürfnisse nicht mehr wahrnimmt und sich auch nicht mehr um seine persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten kümmert. Er treibt keinen Sport mehr, geht keinem Hobby nach, vernachlässigt seine sozialen Kontakte, pflegt keine Geselligkeit. Seine Freizeit ist an das Fernsehen gebunden und er verbringt - Chips oder Süßigkeiten knabbernd - vermeintlich gemütliche Stunden auf der Couch. Die schädlichen Folgen mangelnder Bewegung und ungesunder Ernährung sind hinreichend bekannt. Weniger bekannt ist die geistige Trägheit, die mit dem Fernsehen einhergeht: die Informationen - seien sie nun politischer, gesellschaftlicher oder wissenschaftlicher Natur, erreichen den Zuschauer bereits gefiltert und vorverdaut, er braucht nur noch zu konsumieren. Sich durch Vergleichen und Nachdenken eine eigene Meinung zu bilden, erscheint überflüssig. So ist das Fernsehen auch gleichzeitig eine gigantische Manipulationsmaschine.

Fernsehen absorbiert Energie. Es bindet Kräfte an sich. Es kostet Zeit. Meine Zeit ist mir wertvoll, meine Energie teuer und meine Kraft ist begrenzt.

Ich will das alles nicht länger verschwenden und frei sein. Deshalb habe ich meinen Fernseher abgeschafft.

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